Schlaf - Einleitung zu 6. Die Bewährungsprobe

 CN: Es gibt einen kurzen Absatz zu organisierter Gewalt und Schlaf. Passt daher gut auf euch auf, vor allem, wenn ihr selbst betroffen seid.

 

 

Miau und hallo, meine zauberhaften Leser*innen,

 

tja, das mit dem Schlafen ist bei Anna & Co so eine Sache …

Im Gegensatz zu mir und allen anderen Katzen haben sie damit wirklich Probleme – wie die meisten Menschen mit einer DIS/pDIS/komplexen Traumafolgestörung.

 

Als Katz (oder Kater) kann eins ja in fast allen Lebenslagen schlafen: eine gründliche Katzenwäsche, ein bisschen den Platz gemütlich zurechttreteln, sich zwei- oder dreimal im Kreis drehen, sich zusammenrollen – und zack, einfach wegschlummern. Anna beneidet mich sehr darum.

Heute besonders, denn gestern war mal wieder so eine Nacht, in der Herr Schlaf sich echt danebenbenahm, wie ein Innenkind immer sagt:

Ich war bereits auf dem Kissen neben Annas Kopf eingeschlummert, als ich fast von selbigen gepurzelt wäre, so abrupt fuhr Anna hoch und tastete nach dem Lichtschalter der Lampe am Bett.

 „Verdammter Mist“, stöhnte sie dabei.

Ich war schlagartig hellwach und sah sofort, dass Anna völlig fertig war.

 

„Zeit für Kakao?“, fragte ich daher sanft; sie sah nicht so aus, als würde es funktionieren, wieder einzuschlafen, zumal sie sich schon zuvor gut zwei Stunden hin und her gewälzt hatte. Und dann ist ein warmer Kakao ganz hilfreich, um wieder zur Ruhe zu kommen.

Anna nickte und so tapsten wir gemeinsam in die Küche. Ich kochte Kakao für Anna & Co und mir einen Kaffee, ahnte ich schon, dass auch ich diese Nacht keinen Schlaf bekommen würde. Anna setzte sich derweil an den Küchentisch.

 

Doch bevor ich weiter von der gestrigen Nacht erzähle, möchte ich ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema mit euch teilen:

 

Ich finde das ja total logisch und nachvollziehbar, dass traumatisierte Menschen so oft so massive und vielfältige Schlafprobleme haben:

Schlaflosigkeit, Einschlafschwierigkeiten, Durchschlafschwierigkeiten, Albträume, Flashbacks, Hochschrecken, Angst vor dem Ins-Bett-Gehen, nicht-erholsamer Schlaf sind eine unmittelbare Folge erlebter Gewalt.

 

Besonders letzteres ist ein großes Problem bei Anna und den anderen; sie sind wirklich nie ausgeschlafen, egal, ob sie zwei oder sechs Stunden schlafen. Und wenn ich „nie“ schreibe, meine ich das genau so. 

 

Moment, wo war ich eigentlich? Ach ja, ich wollte erklären, warum ich das so nachvollziehbar finde:

 

Ein Großteil der Gewalt findet in den meisten Fällen nachts statt. Daher wundert es mich nicht, dass die Innenpersonen, die diese Traumata tragen, Angst haben zu schlafen, getriggert sind, wenn die Nacht anbricht, und alles versuchen, um ja wach zu bleiben.

 

Bei Menschen, die organisierte Gewalt erfahren haben, kommt noch die grausame Tatsache dazu, dass Täter*innen ganz bewusst mit Schlafentzug arbeiten und das Schlafen verbieten. Versucht mal zu schlafen, wenn tief in euch verankert ist, dass ihr das nicht dürft. Es geht nicht. Jedenfalls nicht ohne eine gute Traumatherapie.

 

Ja, meine Lieben, das ist entsetzlich. Aber Traumaaufklärung funktioniert nicht, ohne manche furchtbaren Dinge auch mal öffentlich auszusprechen.

 

Natürlich hat auch Anna feste Abläufe entwickelt, wenn auch andere als ich, damit es besser mit dem Schlafen klappt, und dafür gesorgt, dass sich innen alle sicher fühlen, wenn es Zeit ist, ins Bett zu gehen:

 

Zum einen hat Anna das Bett sehr gemütlich gestaltet, es gibt viele Kissen und eine Gewichtsdecke zur Beruhigung, ein Nachtlicht und ein Kuscheltier für die Kleinen, und Hörbücher zum Einschlafen. Das hilft schon mal sehr. Zum anderen hält sie regelmäßig Mittagsschlaf; je weniger überreizt alle abends sind, desto besser klappt das mit Einschlafen. Und sie kontrolliert vor dem Zu-Bett-Gehen noch einmal, ob die Wohnungstür wirklich abgeschlossen ist.

 

So sind die Einschlafstörungen im Laufe der Jahre deutlich besser geworden.

Doch leider hilft das alles nicht immer und leider gibt es kein Patentrezept. Eins muss selbst herausfinden, was in den Nächten für genügend Sicherheit sorgt – und das ist harte Arbeit, kann euch sagen.

 

Auch Medikamente können eine Möglichkeit sein, wobei es hier leider Nächte gibt, in denen diese komplett versagen. Insbesondere Sarah, eine Innenperson, kann, wenn sie stark getriggert und in Aufruhr ist, jedes Medikament irgendwie aushebeln.

 

Dass ich magisch nachhelfe, und sie hin und wieder in den Schlaf zaubere, mag Anna inzwischen nicht mehr – und ich kann es verstehen.

 

Doch trotz aller Maßnahmen, guter Medikamente und jahrelanger Therapie gibt es weiterhin Nächte, die schwierig sind, vor allem wenn belastende Ereignisse in der Gegenwart dazu kommen. Sorgen, Angst, Kummer, Panik – alles nicht gerade schlaffördernd.

 

Und damit wären wir wieder bei der gestrigen Nacht und zurück in Annas Küche:

 

 

„Der Brief?“, fragte ich, als ich Anna den Kakao vor die Nase stellte.

Anna nickte.

 

Zur Erklärung für euch: Anna hatte mittags ungute Post vom Amt aus dem Briefkasten gefischt und seitdem ging hier der Punk ab. Insbesondere Sarah war stark getriggert und in Panik.

 

„Dieser neue Sachbearbeiter ist echt der Supergau“, murmelte Anna in ihren Kakao.

Das sah ich genauso und brummte daher zustimmend.

„Frau XY (vom ambulant begleiteten Wohnen) hat aber gesagt, dass sie sich morgen …“, nach einem Blick auf die Uhr korrigierte ich mich, „ähm, heute darum kümmert, oder?“

Anna kam noch dazu zu nicken, dann wechselte Sarah nach vorne, fing an zu weinen und platzte mit allem heraus, was sie befürchtete. Vor allem die Angst, die ambulante Unterstützung zu verlieren, war groß.

 

Es dauerte lange, bis ich sie so weit beruhigt hatte, dass sie Anna wieder nach vorne ließ.

 

„Meinst du, ihr könnt jetzt schlafen?“, fragte ich irgendwann vorsichtig, nachdem ich noch eine Weile mit Anna über alles Mögliche geredet hatte.

„Glaub nicht“, Anna schüttelte den Kopf. „Aber hinlegen ist eine gute Idee.“

Fand ich auch; sie sah fürchterlich erschöpft aus.

 

„Aber dann erzählst du uns noch eine Geschichte, ja?“, piepste es plötzlich vehement.

Lia, ein Innenkind, das ihr ja schon aus den ersten Geschichten kennt, war aufgetaucht. Ich musste ein bisschen schmunzeln, denn auch das ist inzwischen ein festes Ritual:  

Wenn hier schlaftechnisch gar nichts geht, dann muss ich den Kleinen von meinen Abenteuern im Zauberwald erzählen.

 

„Ich will die Geschichte von deiner Bewährungsprobe noch mal hören“, meldete sich so prompt Janni, ein weiteres Innenkind, zu Wort.

 

Das ist eine der Lieblingsgeschichten der Kleinen, die ich bestimmt schon tausend Mal erzählt hatte. Ist aber auch wirklich ein spannendes Abenteuer, bei dem ich meinem besten Freund Snowflake und seiner Mutter, beides magische Schneeleoparden, zum ersten Mal begegnet bin. Die zwei habt ihr ja schon kurz kennengelernt (=> Karibische Weihnachten, => 5. Ein Elchabenteuer und seine Folgen).

 

Ich stimmte also zu und schaffte erst einmal alle zurück ins Bett und half ihnen, es sich richtig gemütlich zu machen. Dann begann ich zu erzählen, bis wir alle irgendwann doch noch für ein Stündchen oder zwei einschliefen. Miau

 

Ihr, meine zauberhaften Fans, dürft euch übrigens auch auf die Geschichte 6. Die Bewährungsprobe freuen, die erzähle ich euch nämlich nächstes Mal.

 

Für heute aber war es das. 

 

Gern könnt ihr mir einen Kommentar hier auf dem Blog oder auf meinen Social Media Accounts hinterlassen. Ich freue mich darüber.

 

Bis bald. Wir lesen uns.

 

Es grüßt euch herzlich euer Merlin.

 

 

Kommentare: 5
  • #5

    @energiepirat (Mittwoch, 02 August 2023 14:05)

    Es ist auch schön und erste, wenn man eine frühere Geschichte liest. Und die wunderschönen Bilder das Katers sieht. Danke Merlin.

  • #4

    Pjs (Sonntag, 26 Februar 2023 22:48)

    Danke für den ehrlichen, liebevollen und informativen Blick in Annas Welt.

    Es macht mich traurig zu hören, wie schwer es für traumatisierte Menschen ist,schlafen zu können

    �‍⬛ ein hoch auf Merlins Guten -Nachtgeschichten

  • #3

    Ralf & Merlin (Freitag, 24 Februar 2023 07:28)

    Immer wieder hervorragend und einfühlsam erzählt. Als nicht betroffene Person lernt man so ganz nebenbei sehr viel.

    Herzlichen Dank, lieber Merlin und weiter so :-)

  • #2

    Maria (Donnerstag, 23 Februar 2023 15:34)

    Ja merlin, Traumafolgen sind meist richtig besch....eiden.
    Bei mir helfen inzwischen auch mentale Verbindungen zum Universum, der Natur. Auch verschiedene Bewegung, Wobei mir leicht fühl MusischRythmische Aktionen wie Trommeln, in einer kleinen Gruppe derzeit nicht zugänglich sind. In REHA werden diese angeboten. Doch eine Verordnung durch die KK zu bekommen ist nicht Regelhaft. Das finde ich Schade, denn selbstzahlen ist außerhalb von Buget Die kleinen Gucklöcher zu den fröhlichen versteckten Anteilen, die sich während der REHA öffnen, brauchen Zeit u. regelmäßiges Leichtes. Fehlt das schließen sie sich oft wieder. Es wäre tatsächlich Klasse wenn auch diese so heilsamen therapeutischen Möglichkeiten, wie eine Medikation anerkannt würden. Leider verstehen viele Gesundheits-Experten nicht, wie wirkungsvoll Alternatives wirkt. Denn Medikamente alleine sind kein Garant für Verbesserungen. So nun genug erzählt, schön das du Annas leben näher bringst. Liebe Grüße mit ❤ an dich Merlin teile sie gerne mit Anna und den Großen u. Kleinen bei euch ⚘

  • #1

    Wyland (Donnerstag, 23 Februar 2023 13:58)

    Jetzt bin ich fast froh, überwiegend "nur" seelische Gewalt erfahren zu haben und mit dem so wichtigen Schlaf keine Probleme habe. Warum nur sind Menschen so grausam!?�