CN chronische Schmerzen, CRPS, Süßigkeiten, Verletzung
Miau und hallo, meine zauberhaften Leser*innen,
tja, auch in diesem Sommer (2024) verlief meine Blog-Pause sehr ereignisreich! Von wegen faules Katzenleben und so. Dieses Jahr war es jedoch kein ausgebüchstes Hundebaby (=> Ein chaotischer Sommertag), das mich in Atem hielt, auch wenn Joy die Auslöserin der ganzen Sache war, sondern Tasso. Ich war wochenlang in großer Sorge um ihn, konnte ich doch noch nicht wissen, dass schlussendlich sein Leben eine überraschende Wendung nehmen würde. Doch lasst mich der Reihe nach erzählen, miau.
Der Gute hatte sich kurz nach den Geschehnissen, die ich euch in der Geschichte 13. Eine unheilvolle Entdeckung erzählt habe, die linke Vorderpfote verletzt.
Folgendes war passiert:
Joy besuchte in ihren Sommerferien selbstverständlich ihren selbsternannten Patenonkel Tasso. Das Wetter war herrlich und so verbrachten die zwei die Tage von morgens bis abends im Wald. Die junge Hündin hielt meinen Freund mächtig auf Trab; gemütlich unter einem Baum im Schatten zu dösen ist nicht so ihrs. Sie wollte toben – mit Tasso. In Folge war dieser abends wortwörtlich hundemüde. Ältere Hunde brauchen so viel mehr Schlaf als junge Wirbelwinde wie Joy, der eine kurze Ruhepause genügte, um Kraft zu tanken – und die sich jedes Mal sofort langweilte, wenn sie aus einem Nickerchen erwachte. Und so geschah eines Abends das Unvermeidliche:
Joy kam auf eine Idee, die schnell hätte gefährlich werden können. Während Tasso vor sich hinpennte und Hanne, sein Mensch, bei ihrer wöchentlichen Doppelkopfrunde war, nutzte die Kleine die Zeit, um mal gründlichst alle Küchenschränke zu inspizieren, um es höflich auszudrücken.
Weniger höflich und treffender wäre es zu sagen, dass sie das totale Chaos in der Küche angerichtet hatte, weil sie alles Mögliche aus den Schränken gezerrt hatte – und das offenbar relativ geräuschlos – oder Tasso wird langsam schwerhörig. Er schwört Stein und Bein, dass er nichts mitbekommen hat, sondern erst wach wurde, als ihm der Magen knurrte. Nun, manchmal hat es seine Vorteile, dass Hunde ständig Hunger haben, denn er betrat die Küche auf der Suche nach Futter gerade noch rechtzeitig:
Joy hatte auch den Spülschrank ausgeräumt und war dabei, eine Packung Geschirrspültabs aufzureißen, tatsächlich in der Absicht, wie sie später zugab, zu probieren, ob die Dinger als Snacks taugen.
Nein, Hanne ist nicht so leichtsinnig, in einem Haushalt, in dem nicht nur ein Hund lebt (neuerdings phasenweise sogar zwei), sondern auch nach wie vor viele Katzen, die ein neues Zuhause suchen oder gepflegt werden müssen (=> 2. Wie alles anfing), so etwas ungesichert aufzubewahren. Doch die Kindersicherung am Spülschrank war für die magisch hochbegabte Joy leider kein Problem gewesen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Tasso sah bereits an der Küchentür, was Joy da in der Schnauze hatte, setzte, laut „Nein“ bellend, zu einem Sprung zu Joy an, rutschte in dem ganzen Chaos weg, landete auf dem Bauch und schlitterte durch die große Küche.
Ja, schon klar, eher etwas, was mir hätte passieren können, miau.
Die junge Hündin erschrak sich dermaßen, dass sie die Packung mit den Tabs sofort fallen ließ. Insofern war die ganze Angelegenheit gutgegangen. Doch Tasso hatte sich einen großen Holzsplitter aus dem kaputten Dielenboden in die Pfote gerammt. Armer Kerl, miau. Sein Jaulen war wohl durch das gesamte Haus zu hören gewesen. Hanne entfernte den Splitter sofort, als sie wieder zu Hause war, versorgte die Wunde und schleppte Tasso sicherheitshalber in eine veterinärmedizinische Praxis.
Die eigentliche Verletzung heilte dank der guten Behandlung so recht schnell, doch Tasso hatte weiterhin Schmerzen und die Pfote blieb geschwollen. Und das war der Punkt, an dem sich nicht nur Hanne um Tasso Sorgen machte, sondern auch ich, vor allem da sich der Zustand monatelang nicht änderte. Von Joy mal gar nicht zu reden, die Kleine ließ lange die Öhrchen hängen, so sehr plagte sie ihr schlechtes Gewissen. Aber Hanne wirkte hier Wunder und half Joy gut darüber hinweg.
Der „Herr Tierarzt“, wie Tasso die ihn behandelnde Person konsequent nannte, hatte die Schmerzen, Schwellung und Überhitzung der Pfote auf Tassos Alter geschoben, verschrieb diverse Schmerzmittel und damit war es für ihn erledigt.
Bevor es mit der Geschichte weitergeht, möchte ich mit euch einen kleinen Abstecher in das Thema „Trauma und Schmerz“ machen. Durch mein Leben mit Anna & Co bin ich mittlerweile so etwas wie ein Experte für chronische und akute Schmerzen, miau.
Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen/pDIS/DIS haben fast immer mit massiven chronischen Schmerzen zu tun. Über den Zusammenhang von Traumatisierungen und Schmerzen gibt es inzwischen viele Studien, sodass ich das hier kurzhalten werde. Wichtig zu wissen ist, dass Traumata auch lange nach Ende der Traumazeit zu körperlichen Schmerzen führen können:
Es kann sich um Schmerzen von früher handeln, die Anteile erneut durchleben, wenn sie getriggert oder überfordert sind, um Körpererinnerungen, aber auch um Muskel- und Gelenkschmerzen allein durch die jahrzehntelange, permanente Anspannung und/oder um Schmerzen als Reaktion auf Stress, Trigger oder Retraumatisierungen.
(Und natürlich können auch durch die Gewalt entstandene, physische, nicht gut geheilte Verletzungen (Brüche etc.) zu (lebens-)lang andauernden Schmerzen führen.)
Traumabedingte, psychogene Schmerzen brauchen ebenso eine Behandlung. und zwar nicht ausschließlich in Form von Traumatherapie. Physiotherapie, sofern für die traumatisierte Person machbar, eine flexible, wirksame Schmerzmedikation, angepasst an Schmerzstärke und mögliche Unverträglichkeiten, und die Entwicklung von Strategien zum Umgang damit können die Lebensqualität etwas verbessern.
Leider wird das von Ärzt*innen noch allzu häufig nicht so gehandhabt, schnell schicken sie traumatisierte Menschen mit dem Satz „Das ist psychisch bedingt. Damit werden Sie wohl leben müssen.“ weg. Für mich eine Form unterlassener Hilfeleistung.
Besonders gefährlich wird es dann, wenn sich bestehende Schmerzen plötzlich verstärken oder neue dazu kommen: Ja, natürlich können auch das traumabedingte Schmerzen sein. Können, ist auch nicht selten. Muss aber nicht. Um es mal ganz platt auszudrücken: Auch Menschen mit einer DIS usw., die z.B. häufig stressbedingte starke Bauchschmerzen bekommen, können mal eine Blinddarmentzündung haben – oder eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung; Menschen mit ständigen Muskelschmerzen, die plötzlich Symptome wie Taubheit und Kribbeln spüren, können einen schweren Bandscheibenvorfall oder eine neurologische Erkrankung entwickeln haben. Alles Erkrankungen, bei denen eine schnelle Behandlung nötig ist, bevor es zu einer (eventuell auch lebensbedrohlichen) Verschlimmerung kommt.
Bevor also Schmerzen auf die Psyche geschoben werden, bedarf es immer einer sehr gründlichen Abklärung und korrekter Diagnosen. Schmerz einfach als psychogen abzutun, von medizinischer Seite her, ist mehr als grob fahrlässig. Traumageschichte hin oder her. Solche Situationen hat nicht nur Anna selbst zu genüge erlebt, sondern eigentlich fast alle traumatisierten Menschen, was durch das Nicht-erst-genommen-Werden, die Verweigerung von Hilfe, das Allein-gelassen-Werden mit der Krankheit die Gefahr einer Retraumatisierung birgt. Die wiederum zu neuen Schmerzen führen kann. Das ist einer der Teufelskreise dabei. Ein anderer entsteht dadurch, dass Schmerzen selbst natürlich ein Trigger sind, waren doch die traumatisierenden Situationen fast immer mit körperlichen Schmerzen verbunden. Und eine mögliche Triggerreaktion kann sein, Schmerzen zu bekommen. Ganz fatal, miau. Euer Gesundheitssystem muss da dringend deutlich besser werden, was das angeht – und auch hinsichtlich des Umgangs mit traumatisierten Menschen allgemein.
Was das alles mit Tasso zu tun hat?
Nun, diejenigen von euch, die mich regelmäßig lesen, werden sich noch an die Geschichte Heimweh erinnern, in der Anna im Krankenhaus gelandet war, weil ihr Fuß nach einem Unfall sehr merkwürdige Symptome zeigte. Damals dauerte die Diagnosefindung lange und zwischendurch hieß es natürlich, das sei psychisch. Tatsächlich aber handelte es sich um ein CRPS, früher Morbus Sudeck genannt. Ein CRPS ist nicht psychisch, sondern physisch bedingt:
„CRPS steht für Complex Regional Pain Syndrome oder Komplexes regionales Schmerzsyndrom. Die Erkrankung kann nach Bagatelltraumen, leichten und schweren Verletzungen oder operativen Eingriffen an den oberen oder unteren Extremitäten auftreten. Dabei reagiert der Körper mit einer massiven Entzündungsreaktion, ohne dass eine Infektion vorliegt. Typisch sind Schmerzen unterschiedlicher Qualität und Intensität, Schwellungen, Rötungen, Temperaturstörungen, Schwitzen, vermehrtes Haar- und Nagelwachstum sowie Störungen des Gefühlsempfindens und der Sensibilität. Funktion und Beweglichkeit der betroffenen Gliedmaßen sind gravierend gestört bis hin zum schmerz- und störungsbedingt völligen Funktionsverlust.“
Stand: 04.04.2024)
Ja, Tassos Vorderpfote erinnerte mich sehr an Annas Fuß, geschwollen, extrem schmerzhaft, heiß, verschwitzt. Ich befürchtete, dass sich bei Tasso ebenfalls ein CRPS ausbildete. Zwar fand ich im Netz nichts zu Hunden und CRPS, doch vergessen wir nicht, dass Tasso trotz allem ein magisches Tier ist. Da ist alles möglich. Doch nicht nur dieser Verdacht war Anlass zur Sorge; auch psychisch ging es ihm nicht gut:
Nachdem seine Schmerzen als Alterserscheinung abgetan worden waren, zog sich Tasso immer mehr zurück. Stundenlang lag er in dem abgedunkelten Schlafzimmer von Hanne. Ich besuchte ihn häufig in jener Zeit und kam so, nach über 25 Jahren, Hanne näher. Hanne, mittlerweile um die Sechzig, ist das, was die meisten wohl eine Hexe nennen würden. In Wahrheit ist sie einfach eine sehr naturverbundene, kluge Frau mit einer starken Intuition und guten Kenntnissen über Heilkräuter.
Hanne erzählte mir, dass in ihrer Jugend eine Zeitlang eine magische Katze mit Heilkräften bei ihr gelebt und sie viel von ihr gelernt hätte. Das erklärte ein Vierteljahrhundert später natürlich, warum sie mich Ende der 1990er direkt als magisches Tier identifiziert und so gut gepflegt hatte.
Tasso weigerte sich strikt, sich von ihr behandeln zu lassen oder eine andere veterinärmedizinische Praxis aufzusuchen. Selbst die Schmerztabletten begann er zu verweigern, halfen sie nur bedingt und verursachten ihm zusätzlich Übelkeit. Auch ich konnte ihn nicht davon überzeugen, sich auf die Suche nach einer kompetenten Person zu machen, die ihm würde helfen können.
Ja, starke Schmerzen können eine Depression auslösen. Und meiner Meinung nach war Tasso mindestens auf dem besten Weg dahin, wenn nicht schon mittendrin.
Ich sah also Handlungsbedarf, wie es so schön heißt. Mein alter Kumpel brauchte Hilfe und ich eine Idee. Die wenigen magischen Tiere mit Heilkräften waren alle im Einsatz und nicht abkömmlich, wie mir Pat auf meine Frage hin per magischem Funk mitteilte. Das war natürlich mein erster Gedanke gewesen.
Und ehrlich gesagt, mein bisher einziger. Von daher sprang ich kurzentschlossen in den Zauberwald. Spring würde keine Zeit haben, sie steckte bis zum Hals in den Vorbereitungen zu dem Prozess gegen Nero und seine Bande (=> Hoch im Norden, Teil eins und zwei), aber vielleicht würde die alte Charly mir weiterhelfen können.
Ich traf sie schlafend vor ihrer Hütte an, in der auch ich 50 Jahre lang gelebt hatte .
Müde öffnete sie zunächst nur ein Auge und brummte verschlafen: „Was führt dich zu deiner alten Tante?“
Kurz und knapp schilderte ich mein Problem. Ich war mir nicht sicher, ob sie mir überhaupt zugehört hatte, denn es sah so aus, als döste sie weiter. Doch als ich geendet hatte, richtete sie sich auf und sah mich aufmerksam an:
„Du kennst die Antwort, Merlin. Ich sage nur Drachen.“
Och, nö, miau, das war ja wie in meiner Ausbildung. Charly hatte mir auch damals selten Fragen direkt beantwortet, sondern mir lediglich Hinweise gegeben, bis ich selbst darauf kam – oder beschloss, dass ich das doch nicht so dringend wissen wollte. So fehlte es mir an allen Ecken und Enden an Wissen.
Drachen. Gut, seit kurzem kannte ich einige Mini-Drachen (=> Reise zu den Drachen). Gänseblümchen und seine Freund*innen hatte ich sehr in mein Herz geschlossen. Doch von Heilung verstanden sie genauso viel wie ich: nix.
Drachen.
Ich kramte in den hintersten Ecken meines Gedächtnisses. Nichts. Mein Wissen über Drachen ist echt gering. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, allerdings nicht sehr erfolgreich.
In die Bibliothek? Keine Lust.
Gänseblümchen eine Nachricht über Schneckenpost schicken?
Doch wie kamen die Schnecken eigentlich über den Ozean?
Etwa auch per Delfin?
Sollte ich einfach erneut zu Gänseblümchen reisen?
Charly war mittlerweile wieder eingeschlummert. Vorsichtig stupste ich sie an.
„Wie erreiche ich Gänseblümchen am schnellsten? Funkgeräte haben die Drachen ja nicht.“
„Und ich dachte, ich hätte dich gut ausgebildet“, seufzte Charly, rappelte sich auf und trabte in ihre Hütte. Perplex sah ich ihr nach. Sekunden später war sie zurück und legte einen Stapel Notizbücher vor mir ab:
Nach einem genaueren Blick darauf erkannte ich erstaunt, dass es sich um meine alten Schulhefte handelte, in denen ich mir alles prüfungsrelevante aufgeschrieben – und offenbar sofort wieder vergessen hatte! An diese bunten Büchlein hatte ich seit etwa 140 Jahren keinen Gedanken verschwendet, miau. Dass Charly sie aufbewahrt hatte, rührte mich ein wenig.
Selbige streckte sich kommentarlos wieder aus und setzte ihr Sonnenbad fort, während ich den Stapel hilflos anstarrte. Eine Reise auf Dorothea oder einem anderen Delfin würde vermutlich schneller gehen, doch ich begann zu blättern.
Überraschend schnell fand ich in dem chaotischen Gekritzel, was ich suchte: „Schnecken – unsere Briefträger*innen – und ihre Fähigkeiten“
Meine Güte, hatte ich damals eine Sauklaue gehabt.
„Können Dimensionen springen und fliegen“, entzifferte ich mühsam.
Ach. Sieh an. Flugs orderte ich eine Schnecke und verfasste ein paar Zeilen an Gänseblümchen, in denen ich um eine schnelle Antwort bat.
Nachdem sich die Schnecke auf den Weg gemacht hatte, blätterte ich weiter die Hefte durch. Charly schlief inzwischen tief und fest.
Schließlich stieß ich auf das gesuchte Stichwort „Drachen“:
„Es gibt 27 Dracheninseln. Auf jeder lebt eine andere Art von Drachen. Jede Art hat besondere Fähigkeiten und eine andere Lebensweise.“ Na, gut, dass mein Schreibstil heute besser ist.
Dann folgte eine Auflistung aller Drachenarten.
Schön und gut. Aber welche konnten mir mit Tasso helfen?
Auf der nächsten Seite stand „Fähigkeiten der einzelnen Drachen“ und darunter fand sich – nichts. Nur sehr hübsche Kringel und Linien und der Satz: „Halt dich von Trollen fern“, quer über die Seite gekritzelt. Na, großartig. Hier hatte Charly inmitten ihrer Ausführungen wohl wieder den Faden verloren.
Also anders: Ich überflog die Seiten, in der Hoffnung, etwas zum Thema Heilung zu finden.
Ha! Da war es! Nach etwa zwei Stunden, nur unterbrochen von einem kurzen Mittagessen, wurde ich endlich fündig.
Ich wollte gerade stolz die immer noch schlafende Charly wecken, als ich mich ein lautes Rauschen in den Bäumen zusammenschrecken ließ – und Sekunden später landete Gänseblümchen neben mir. Hui, miau, Drachen beeindrucken mich immer wieder auf ein Neues.
Charly jedoch öffnete nur ein Auge, murmelte „Ich sehe, du bist fündig geworden“ und schlief weiter.
Gänseblümchen dagegen war putzmunter und strahlte mich voller Freude an: „Hallo, mein lieber Freund. Ich dachte, ich fliege direkt hierher. Irgendwer muss dich ja …“
„… zu den Glücksdrachen bringen“, fiel ich Gänseblümchen stolz ins Wort und begrüßte ihn schnurrend und Köpfchen gebend.
Genau, ich hatte die Lösung tatsächlich in meinen alten Heften gefunden: Glücksdrachen. Mehr sag ich noch nicht, miau! Ihr müsst schon weiterlesen.
Gänseblümchen und ich verabredeten uns in einer Stunde an dem Strand, an dem sich die „Delfinanlegestelle“ befindet. Auch wenn die Angelegenheit eilig war, wollte ich kurz nach Hause, um Anna zu informieren, dass ich ein oder zwei Tage unterwegs sein würde.
Kaum am Strand gelandet kletterte ich unbeholfen auf meinen Drachenfreund, der voraus geflogen war – und los ging es – ein weiterer wunderbarer Flug über den Türkisen Ozean, miau.
Die Insel der Glücksdrachen ist die kleinste der 27 Inseln und liegt am weitesten entfernt vom Ufer. Aus dem Wasser ist sie nur schwer zu erreichen; sie ist umgeben von sehr scharfkantigen großen Felsen, die aus dem Meer ragen. Ich vermute, dass das der Grund war, dass mir Flying Blue, ein Delfin, damals die Insel der Mini-Drachen vorgeschlagen hatte und nicht diese.
„Okay, wir sind da. Schau mal nach unten“, teilte mir Gänseblümchen schließlich mit und verringerte in sanften Spiralen fliegend langsam die Flughöhe. „Wir machen erst einmal einen Rundflug über die Insel, einverstanden?“
Und wie ich einverstanden war. Schließlich bin ich eine neugierige Katze, miau.
Es war schon aus der Luft erkennbar, dass die Insel der Glücksdrachen wahrlich ein Paradies ist: Sie ist übersät mit farbenfrohen Blumen und zahlreichen Süßigkeitenbäumen. Ja, an den Bäumen dort wachsen tatsächlich Süßigkeiten: Schokolade, Bonbons, Eiskugeln in Waffeln, Gummibärchen usw. Außerdem finden sich überall auf der Insel, zwischen sanften, maigrünen Hügeln verteilt, Spielgeräte wie Schaukeln und Rutschen, Klettergerüste und kleine Seilbahnen. Die Insel sieht von oben aus wie ein einziger Abenteuerspielplatz. Alles wirkt bunt, fröhlich und warm und doch ist es überraschenderweise angenehm still. Nur das Spiel des Windes in den Bäumen und ein paar Vogelstimmen sind zu hören. Und natürlich das Lachen der Glücksdrachen.
Zauberhaft!
Gänseblümchen begann, als tiefer wir kamen, mir von oben schon einige der Glücksdrachen vorzustellen. Drachen sind, nimmt eins die Kampf- und Feuerdrachen aus, sehr soziale Wesen und besuchen sich gegenseitig auf ihren Inseln und kennen sich untereinander gut; auch Besucher*innen sind jederzeit willkommen:
„Siehst du den grünen Drachen an dem Kessel? Das ist Smaragd, sie ist die Anführerin. An sie müssen wir uns mit unserem Anliegen wenden.“
Wow, war die kleine Drachendame winzig. Glücksdrachen sind viel kleiner als die Mini-Drachen, die ja, wie ihr Name schon sagt, auch nicht besonders groß sind. Aber so ein Glücksdrache ist tatsächlich noch kleiner als ich und könnte bequem auf der Schulter eines Menschen sitzen, wäre das denn gegenseitig gewünscht. (Ich sitze übrigens auch gern auf Annas Schulter; sie findet das eher unbequem. Keine Ahnung, warum.)
Gänseblümchen flog weitere Schleifen: „Dort auf der Rutsche, der quietscherosa Drache, das ist Mondstein. Ist sie nicht entzückend?“
In der Tat, das war sie. Der Spaß, den sie beim Rutschen hatte, war ihr anzusehen.
„Und das ist Katzengold“. Katzengold, goldfarben, war mit Schaukeln beschäftigt und strahlte bis hier oben eine große Zufriedenheit aus.
„Hier siehst du Rauchquarz“, Gänseblümchen zeigte auf einen grauen Drachen, der genüsslich ein Eis schleckte. Yummy!
Die Kleinen würden diese Insel noch mehr lieben als die der Mini-Drachen. Stoff für eine weitere Fantasiereise mit ihnen.
Gänseblümchen flog weiter über die Insel.
„Tigerauge“, ein orangefarbener Drache schlummerte gemütlich unter einem der Bäume. Da hätte ich mich gern dazugelegt. Miau.
„Und hier haben wir noch Turmalin“, erklärte Gänseblümchen, während er zur Landung ansetzte und genau vor ebenjenem schwarzen Drachen den Boden berührte.
Drachen sind sehr feinfühlige Wesen, also jedenfalls die, die ich bisher kennengelernt habe. Ich genieße es zwar inzwischen sehr, auf Gänseblümchen zu sitzen, aber die Nummer mit dem Absteigen bleibt so eine Sache. Ich war beiden Drachen sehr dankbar, dass sie ignorierten, dass ich mich noch immer an Gänseblümchen festklammerte, während Gänseblümchen Turmalin und mich miteinander bekannt machte.
„Ach, ich hätte eine große Bitte“, wandte sich Turmalin direkt an mich, während Gänseblümchen sich langsam auf dem Bauch niederließ, um es mir zu erleichtern, von seinem Rücken herunterzukommen, „bitte benutze für mich das Pronomen ‚hen‘, wenn du über mich sprichst.“
Ich nickte, während ich mich von Gänseblümchen rutschen ließ. „Alles klar. Danke für die Info.“
Plumps. Natürlich versagten meine Pfoten zunächst und ich landete mit dem Bauch auf dem wunderbar weichen Gras. Gänseblümchen schilderte Turmalin derweil mein Anliegen.
„Verstehe, dann bringe ich euch mal direkt zu Smaragd.“
Sprach es und schritt voran. Gänseblümchen und ich folgten hem auf der Pfote bzw. Klaue. So heißt das bei Drachen. Glaube ich.
Doch halten wir uns nicht mit solchen Nebensächlichkeiten auf: Ich denke, ich sollte euch jetzt mal so langsam erklären, was die besondere Fähigkeit der Glücksdrachen ist: Sie können aus Honigblüten eine heilende Essenz herstellen, die besonders bei chronischen Schmerzzuständen hilft. Genial, oder?
Insofern ruhte auf meinem Besuch hier große Hoffnung. Vielleicht war das ja nicht nur die Rettung für Tasso, sondern auch für Anna?
Falls ich von Smaragd davon etwas bekam. Das war der Haken an der Geschichte. Honigblüten wachsen am – Überraschung – sogenannten Honigbaum. Ja, Einzahl. Es gibt auf der Magischen Welt nur einen einzigen und der steht in der Mitte der Insel der Glücksdrachen und blüht nur alle fünf Jahre, wie ich jetzt gelernt habe. Insofern ist die heilende Essenz sehr selten und Smaragd muss entscheiden, wem sie damit hilft, auch wenn sie am liebsten die gesamte Magische Welt mit dem Trank versorgen würde. Keine leichte Aufgabe, miau.
Wir trafen Smaragd auf der Blumenwiese in der Mitte der Insel. Sie stand an einem Kessel, in dem ein giftgrüner Trank brodelte. Einige Meter hinter ihr stand ein kleines Bäumchen, nicht mal so groß wie Anna.
Turmalin sah meinen Blick und erklärte: „Ja, das ist der Honigbaum, unser kostbarstes Gut. Ich gebe zu, er wirkt etwas unscheinbar. Aber das ist nach der Ernte normal. Du solltest ihn blühend sehen, dann ist er eine wahre Pracht.“
Hmm, in meiner Vorstellung war dieser besondere magische Baum mindestens fünf Meter groß gewesen. Aber gut. Während ich weiter skeptisch auf das Bäumchen starrte, fielen sich Smaragd und Gänseblümchen um den Hals und begrüßten sich herzlich. Turmalin stellte mich vor und erzählte in knappen Worten von meinem Anliegen.
Smaragds Augen waren voller Mitgefühl, während sie zuhörte. Doch als ich geendet hatte, fragte sie vorsichtig: „Das heißt, es war kein magischer Unfall?“
Oh, oh. Die Frage verhieß vermutlich nichts Gutes. Doch ich blieb bei der Wahrheit: „Nein. Tasso hat nur noch wenig mit der Magischen Welt zu tun, seit er als Welpe fast alle magischen Kräfte verloren hat.“
Ich berichtete kurz noch von seiner Hilfe hinsichtlich Rosalie/Heinz und seiner Zugewandtheit zu Joy, hatte aber keine große Hoffnung mehr.
„Erzähl mir, wie er seine Kräfte verloren hat“, bat Smaragd, „vielleicht kann ich ihm doch helfen.“ Sie hielt einen Moment inne und fuhr fort: „Die Honigblüten sind so selten, dass ich sorgfältig abwägen muss, wer die Essenz bekommt.“
„Wirkt die eigentlich auch bei Menschen?“, warf ich rasch ein.
„Nein, bedauerlicherweise nicht. Im Gegenteil, sie hätte fatale Wirkungen.“
Mist. Also nichts für Anna. Aber vielleicht gab es noch eine Chance, für Tasso etwas davon zu bekommen. Und so erzählte ich seine grausame Geschichte, die ihr ja alle aus Geschichte 7 schon kennt, wie Tasso als Welpe von einer Bande jugendlicher unheilvoller Hunde fast zu Tode gequält worden war.
Alle drei Drachen wirkten tieferschüttert, als ich zu Ende berichtet hatte. Turmalin liefen sogar Tränen über das Gesicht.
Keins sagte etwas. Schließlich wandte sich Smaragd wieder dem Trank in dem Kessel zu und rührte ihn konzentriert um. Dreimal nach links und viermal nach rechts, stellte ich fest, dann warf sie eine Klaue voll Blüten in das Gebräu. Nachdem sie das Procedere dreimal wiederholt hatte, sah sie mich an:
„Ich werde dir zwei Fläschchen mitgeben. Eins mit dem Trank in normaler Stärke. Das wird deinem Freund gegen die Schmerzen helfen. Davon nimmt er fünfmal täglich drei Tropfen. Nach einer Woche sollte es ihm besser gehen. Und eins“, sie zögerte, „mit sehr starker Essenz. Die muss ich noch ansetzen. Das dauert 24 Stunden, bis die fertig ist. Davon nimmt er, wenn er schmerzfrei ist, für drei Wochen täglich einen Tropfen – nicht mehr. Er sollte in der Zeit viel schlafen bzw. Ruhe halten. Verstanden?“
Bei dem letzten Wort schaute sie mich sehr streng an. Schnell nickte ich, war aber verwirrt.
Smaragd fuhr fort: „Die Essenz hat, wenn ich sie weiter einkoche, nachdem sie eigentlich fertig ist, eine weitere geradezu unglaubliche Wirkung. Tatsächlich hat meine Mutter das zufällig herausgefunden, nachdem ihr der Trank vor fünfzig Jahren mal fast angebrannt ist. Das war kurz vor ihrem Tod. Aber ihr blieb noch Zeit, etwas mit der konzentrierten Form herumzuexperimentieren. Und was sie herausfand, ist wahrlich sensationell: Das angebrannte Zeug gibt magischen Wesen ihre Kräfte zurück, wenn sie diese verloren haben. Du verstehst sicher, warum wir das nie an die große Glocke gehängt haben. Sie darf auf keinen Fall nicht in falsche Pfoten oder Klauen geraten.“
Mir fiel die Kinnlade bis zum Boden herunter. Das war ja der Hammer! Tassos Leben würde sich von Grund auf verändern. Ich wurde ganz hippelig vor Freude und bedankte mich überschwänglich.
Smaragd lächelte: „Gern, aber jetzt muss ich mich konzentrieren, um die beiden Essenzen fertig zu stellen. Fühl dich auf der Insel wie zu Hause. Turmalin und Gänseblümchen zeigen dir gern alles, denke ich.“
Die beiden nickten eifrig mit den Köpfen. Und so verbrachte ich wunderbare eineinhalb Tage auf der Insel der Glücksdrachen. Ich spielte, schlief, futterte, spielte, schlief … Hinterher fühlte ich mich, als hätte ich drei Wochen Urlaub gemacht. Die Insel ist einfach Balsam für die Seele. Vom Glücklichsein verstehen diese Glücksdrachen wirklich was, muss ich sagen.
Schließlich überreichte mir Smaragd zwei Fläschchen mit der giftgrünen Substanz. Auf der einen prangte ein neongelber Aufkleber: ‚Achtung! Stark! Genau nach Anweisung nehmen!‘
Sorgsam verstaute ich die Kostbarkeiten in meinem Lederbeutel; dann verabschiedeten Gänseblümchen und ich uns herzlich von den Glücksdrachen und machten uns auf den Rückweg.
Bereits drei Stunden später landete ich vor Hannes und Tassos Haustür.
Kürzen wir es zum Ende hin etwas ab, denn der Text ist mir schon wieder recht lang geraten:
Die Essenz gegen die Schmerzen nahm Tasso dankbar und ohne jede Diskussion eine Woche lang ein. Sie wirkte in der Tat Wunder. Schon am dritten Tag ging es ihm deutlich besser, nach einer Woche war er in der Tat schmerzfrei und seine Pfote sah aus wie vor dem Unfall.
Allerdings zögerte er, die Essenz zu nehmen, die ihm seine magischen Fähigkeiten wiedergeben würde, und es bedurfte einiger Überredungskünste meinerseits. Zu lange hatte er ohne Magie gelebt und war gut zurechtgekommen. Außerdem hatte er nie die Ausbildung durchlaufen, wie eins mit der Magie umgeht. Schließlich überzeugten ihn das Argument, dass er dann endlich mit Hanne sprechen könnte, die er wirklich liebt, und mein Versprechen, dass Spring und ich ihn selbst ausbilden und uns lediglich auf die Grundlagen konzentrieren würden. Die Theorie beherrschte er besser als ich und an fortgeschrittener Magie hatte er kein Interesse. Konnte also nicht allzu schwer sein. Miau. Spring war da ein wenig skeptischer. Zu Recht. Im Endeffekt drückt er nun zusammen mit Joy die Schulbank bei Maxi. Diese Essenz ist sehr stark – und dementsprechend mächtig ist seine magische Kraft. Maxi ist häufig kurz vor einem Nervenzusammenbruch mit ihren zwei so unterschiedlichen Schüler*innen, hat sie mir erst vor ein paar Tagen gestanden. Aber tatsächlich blüht mein alter Kumpel noch einmal richtig auf. Und wenn er Hanne besucht, reden die beiden meist die ganze Nacht durch.
Tja, ihr Lieben, manchmal wird eben doch noch alles gut. Auch wenn es lange dauert, in Tassos Fall so um die 250 Jahre.
Und damit kommen wir für heute zum Ende. Wenn euch die Geschichte gefallen hat, dürft ihr mir gern einen Kommentar hier auf dem Blog hinterlassen.
Wir lesen uns. Bis bald.
Es grüßt euch herzlich euer Merlin
Erna (Mittwoch, 25 September 2024 15:26)
Hallo Merlin, was für eine schöne Geschichte! Ich habe wieder viel gelernt und habe sie in einem Rutsch weggelesen, soviel Spaß hat es gemacht! Vielleicht würde mir der Honig ja auch helfen, wenn ich mal wieder Bauchweh hab? Obwohl, Bäuchlein streicheln hilft auch, dafür hab ich es ja :-) ich freue mich total auf neue Geschichten. Liebe Grüße an Anna, Spring und sowieso alle. Ein herzliches Wuff von Eurer Erni
@energiepirat (Dienstag, 24 September 2024 13:57)
Lieber Merlin, vielen Dank für diese Geschichte Ich konnte mir etwas Zeit nehmen, Sie zu lesen und bin wieder einmal mehr erfreut und fasziniert. Für eine kurze Zeit bleibt die aktuell schwierige Realität draussen.
Und am Ende - spät aber doch - gibt es eine hervorragende Enrtwicklung. Die Glücksdrachen gefallen mir auch, aber die Insel mit ihren Verlockungen zu besuchen, wäre mir wohl zu riskant. Schokolade kann ich ur schwer widerstehen. Danke sehr.
Hartmut (Montag, 23 September 2024 18:45)
Hallo Merlin,
das, was so schön ist, wenn man die Geschichten oder Kapitel – wie ich sie ja meistens bezeichne – chronologisch liest, ist, dass ich immer wieder überrascht bin, wo ich gerade aufgehört habe, und du die Geschichte eigentlich genau dort weiterführst.
Ich war ja schon sehr verzaubert von den Dracheninseln. Auch über Gänseblümchen, und prompt lese ich in deiner neuen Geschichte wieder etwas über sie und über so eine tolle neue Insel, die ein wunderschöner großer Spielplatz ist. Wie viele von uns würden sich so gerne darüber freuen, in so einem schönen Fantasieland für eine gewisse Zeit auszusteigen. Naja, geht halt nicht ganz so, aber dafür gibst du uns diese Geschichte.
Das mit Tasso war schon traurig, aber wie immer gibt es irgendwo eine Lösung. Und immer wieder schaffst du es, viele von den Charakteren aus den anderen Kapiteln mit einzubauen. Man erfährt auch immer etwas mehr von dir. Auch diese kleinen Feinheiten, die du so nebenbei fallen lässt, wie zum Beispiel von Turmalin und sein Pronomen „hen“, zeigen eine feine Art, wie du deine Geschichten hier aufschreibst. Ja, und du zeigst, dass man auch nach 250 Jahren noch einmal die Schulbank drücken kann. Was man so alles mit einer Essenz aus der Zauberwelt machen kann! Ich habe nur leichte Bauchschmerzen, was mit diesem Geheimnis noch alles passieren könnte. Nicht alle Gruppen sind bisher in Gewahrsam genommen, schauen wir mal.
Zum Thema „Trauma und Schmerz“ hast du das (für mich als Außenstehender) nochmal gut dargestellt. Aber es sprengt etwas das Weiterlesen in diesem Kapitel. Dennoch ist es sehr wichtig.
Man sollte sich kurz fassen. Ja, und jetzt muss ich warten, bis es weitergeht. Viele Grüße an Anna und Co. und natürlich an Spring, Tasso und Joy, und – wenn du sie siehst – auch an Gänseblümchen.�
firefly (Sonntag, 22 September 2024 16:28)
honigblüten für alle! die magische welt ist wieder ein stück größer und bunter geworden☺️